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Flaschenpost

Aus UnionBustingWiki
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Flaschenpost SE

Rechtsform Europäische Gesellschaft
Gründung 2012
Sitz Münster
Leitung Stephen Weich, Christopher Huesmann, Julian Pachta, Niklas Plath
Mitarbeiterzahl ca. 8.000[1]
Umsatz 200 Millionen Euro[2]
Branche Einzelhandel
Website www.flaschenpost.de

Stand: 2020-11
Flaschenpost-Lieferwagen. (Bild: Marco Verch, CC BY 2.0, Flickr.)

Die Flaschenpost SE ist ein Lieferdienst für Getränke. Er wirbt damit schwere Getränkekisten bis an die Wohnungstür zu bringen - ohne Liefergebühr.

Flaschenpost gehört seit Oktober 2020 zum Oetker-Konzern und betreibt rund 30 Auslieferungslager mit mehr als 8.000 Angestellten (Stand: Juni 2021).

#Freitag13

Flaschenpost ist für den Aktionstag #Freitag13 am 13. August 2021 nominiert. Die Gründe sind:

  • Behinderung von Betriebsratsarbeit (Union Busting)
  • Einstiegslohn von 10,60 Euro über 2 Jahre
  • fast nur Teilzeitverträge über 20-Stunden
  • extreme körperliche Belastung
  • Entbindung von der ärztlichen Schweigepflicht
  • undurchsichtiges Bonussystem

Arbeitsbedingungen

Lohn

Der Basis-Stundenlohn für Neue beträgt in Berlin 10,60, nach zwei Jahren erst liegt er bei 11,40 Euro. Auf die in der Werbung genannten 13,90 Euro kommt man nur mit einem Leistungsbonus von 2,50 Euro – und den gibt es nur für die schnellsten 5 Prozent der Fahrer*innen.[3] Bei den Beschäftigten im Lager sieht es noch schlechter aus. Um den Bonus von dort maximal 1,50 Euro zu bekommen, müssen sie nach Auskunft des Berliner Betriebsrats derzeit 150 Kisten pro Stunde schleppen: Ein- und Ausladen, Lieferungen zusammenstellen, Leergut abwickeln. Wobei für den Bonus wohl nur zusammengestellte Lieferungen zählen. Das ist gut und gerne eine zweistellige Zahl an Tonnen Gewicht, die in einer Acht-Stunden-Schicht zu schleppen sind. Was durch das Bonussystem zudem nötig wird, ist die Überwachung jedes Arbeitsschritts.[4]

Schichtmodell

Vollzeitverträge garantieren lediglich 20 Stunden die Woche, in vielen Teilzeit- und Minijobverträgen werden gar keine Schichten garantiert. Dreimal täglich kommen E-Mails mit freien Schichten, auf die Mit­ar­bei­te­r*in­nen sich bewerben müssen.[5]

Befristung

Flaschenpost benutze eine Ausnahmeregelung für Start­ups im Teilzeit- und Befristungsgesetz und könne deshalb vier statt nur zwei Jahre lang befristete Arbeitsverträge ausstellen.[6]

Lohnfortzahlung und Entbindung von ärztlicher Schweigepflicht

Im Krankheitsfall zahlt Flaschenpost laut Angabe von Mitarbeitern nur die vertraglich garantierten Arbeitsstunden. Dafür unterschreiben die Beschäftigten bei Flaschenpost eine Entbindung der ärztlichen Schweigepflicht gegenüber dem Arbeitgeber. Der Tageszeitung taz liegt ein Arbeitsvertrag vor, in dem eine solche Klausel enthalten ist.[7]

Hygienemängel und Verstöße gegen Arbeitsschutz

Im Sommer 2019 wurde aus der Niederlassung Münster berichtet, es gäbe dort ein im Winter ungeheiztes Lager, verdreckte Toiletten, nur 15 Minuten Pause bei acht Stunden Arbeitszeit und kaum eine Möglichkeit, in Vollzeit zu arbeiten. An heißen Tagen, an denen der meiste Umsatz gemacht würde, berichtete ein Mitarbeiter, er müsse bei 32 Grad in fünf Stunden schon mal 1200 Kisten bewegen. Das Deaktivieren der Klimaanlagen in den Transportern sei Standard gewesen. Ein paar Gratistrinkflaschen seien die einzige Reaktion auf die Hitze gewesen.[8][9]

Nach einem Bericht der Tagesschau vom 2. November 2020 sah es in der Zeit kurz vor der vor der Übernahme durch die Oetker-Gruppe und der Fusion mit Durstexpress nicht besser aus: Team- und Schichtleiter hätten unbezahlte Überstunden leisten müssen, die Fahrer hätten oft nicht pünktlich Feierabend machen können, es hätte Probleme beim Arbeitsschutz gegeben und Mitarbeitern, die unverschuldet wegen Krankheit fehlten, sei schnell gekündigt worden. Das Unternehmen habe die Tatsache ausgenutzt, dass viele Mitarbeiter Teilzeitkräfte waren und es keine betriebliche Mitsprache gab. Vor der Übernahme durch die Oetker-Gruppe habe man offensichtlich die Mitarbeiterkosten in der Bilanz niedrig halten wollen. "Schlimmer als die Flaschenpost geht es nicht", ist das Fazit eines Mitarbeiters."[10]

Union Busting

Betriebsratsbehinderung

Auf arbeitsunrecht.de berichteten wir bereits in der Vergangenheit, dass Flaschenpost bzw. Durstexpress die Gründung von Betriebsräten und das Engagement für bessere Arbeitsbedingungen unter anderem in Münster, Düsseldorf und Leipzig zu verhindern versuchte.[11][12]

Im Rahmen des Zusammenschlusses von Durstexpress und Flaschenpost streikten Ende 2020 in mehreren Städten die Mitarbeiter beider Unternehmen. Flaschenpost geht mit zahlreichen Union Busting-Methoden gegen die Versuche Betriebsräte zu gründen vor. Laut der Gewerkschaft Verdi konnten die Beschäftigten bisher keinen unabhängigen Betriebsrat ohne Repressionen durch das Unternehmen gründen.

Betriebsratsbehinderung in Berlin 2021

In Berlin ficht das Unternehmen die Betriebsratswahl jetzt vor dem Arbeitsgericht an und führt dafür zahlreiche konstruierte Gründe an. So behauptet Flaschenpost etwa, dass Kandidaten nicht genug Unterstützungsunterschriften für die Zulassung zur Wahl gehabt hätten und die Betriebsratsinitiatoren angeblich Einladungsfristen nicht eingehalten haben. Obwohl Flaschenpost bereits vor dem Düsseldorfer Arbeitsgericht mit dem Vorwurf zu kurzer Einladungsfristen zur Betriebsversammlung scheiterte, versucht es das Unternehmen in Berlin erneut. Der neue Regionalleiter von Flaschenpost in Berlin Eugen Buchholz war seinerseits auch für das Vorgehen gegen die Betriebsratsinitiatoren in Düsseldorf verantwortlich.

Flaschenpost versucht zudem zu instrumentalisieren, dass es keine geheime Abstimmung gab. Dazu NGG-Gewerkschaftssekretär Sebastian Riesner: „Wir haben offen abgestimmt, weil kein Teilnehmer eine geheime Abstimmung gefordert hat.“ Die anwesenden Mitarbeiter wählten den Wahlvorstand zudem ohne Gegenstimmen. Am 31. Mai 2021 fand ergebnislos ein Gütetermin vor dem Arbeitsgericht Berlin statt, ein erster Kammertermin wird vermutlich im Oktober 2021 folgen.

Flaschenpost lässt sich vor Gericht durch die Kanzlei Pusch Wahlig Workplace Law vertreten. Nach seiner erfolgreichen Gründung will der Berliner Betriebsrat die willkürliche Anstellungspraxis und das undurchsichtige Bonussystem ändern, sowie einen arbeitsfreien Samstag für die Lagerarbeiter erstreiten und die grundsätzliche Befristung von Verträgen angehen. An den alten Flaschenpost-Standorten liegt nach Angaben der Gewerkschaft NGG die Befristungsquote bei bis zu 95 Prozent.[13]

Betriebsratsbehinderung in Düsseldorf, Köln und Leipzig

In Düsseldorf klagte das Unternehmen gegen die Wahl des Wahlvorstandes und entließ alle involvierten Kollegen. Das Arbeitsgericht und das Landesarbeitsgericht Düsseldorf wiesen den Antrag auf Abbruch der Wahl ab. Gleich acht Mitarbeiter erhielten zeitgleich die Kündigung – zuerst fristgerechte, danach folgten mindestens sieben fristlose. Die Gewerkschaft NGG erstattete Strafanzeige gegen die Geschäftsführer von Flaschenpost.[14][15]

In Leipzig versuchte Flaschenpost, die Betriebsversammlung zu verhindern. In Köln schaffte das Unternehmen es nach Angaben von Kollegen, diese Versammlung zu sprengen: Die Geschäftsführung habe die Beschäftigten an der Teilnahme gehindert, während sie unternehmenstreue Mitarbeiter zur Abstimmung geschickt hätte.

Flaschenpost lässt befristete Verträge von Betriebsratsmitgliedern auslaufen.[16]

Die Initiative ehemaliger Durstexpress-KollegInnen KünDingDong berichtet, dass Durstexpress bzw. Flaschenpost in Leipzig und Berlin an zahlreiche entlassende Mitarbeiter mittlerweile hohe Abfindungen wegen unrechtmäßigen Entlassungen und fehlender Massenentlassungsanzeige zahlen musste. Wie hoch die gezahlten Abfindungen tatsächlich sind veröffentlichte die Initiative jedoch nicht.

Übernahme durch Dr. Oetker

Die Oetker-Gruppe (Holding: Dr. August Oetker KG) mit dem Stammsitz im ostwestfälischen Bielefeld gehört zu den größten Familienunternehmen Deutschlands. Ein zentraler Geschäftsbereich sind Bier, Sekt und alkoholfreie Getränke. Zu Oekter gehören diverse Marken, die in der Radeberger Gruppe zusammen gefasst sind, die im Jahr 2019 1,7 Mrd. Euro umsetzte. Außerdem besitzt die Radeberger Gruppe diverse lokale Geträngegroßhandlungen.[17]

Der Aufkauf von Flaschenpost und die Fusion mit Durstexpress dürfte das strategische Ziel haben, durch eine vertikale Verwertungskette ein Marktmonopol zu erlangen, um den Markt zu formen, den Absatz der eigenen Produkte durchzusetzen, Preise zu diktieren und Kosten zu senken.

Die Möglichkeiten eines Plattform-gesteuerten Lieferdienstes bestehen darüber hinaus in intensiver wie extensiver Datenerfassung von Kunden und ihren Gewohnheiten mit dem Ziel, Trends frühzeitig zu erkennen oder am besten selbst zu erzeugen.

Umfirmierung als europäische Aktiengesellschaft SE

Mithilfe einer Briefkastenfirma in Österreich änderte Flaschenpost im Jahr 2019 ihre Rechtsform in eine europäische Aktiengesellschaft (SE). Ein Vorteil dieser Rechtsform: Das relativ weitreichende Recht, im Aufsichtsrat mitzubestimmen, gilt hier nicht. Der Flaschenpost SE-Betriebsrat ist laut Informationen der Hans-Böckler-Stiftung mit Personalverantwortlichen besetzt.[18]

Nachweise / Quellen

  1. Marcel Kolvenbach in der Tagesschau, Flaschenpost und Durstexpress – „Ein Klima der Angst“[1]04.11.2020
  2. Getränke News[2]04.11.2020
  3. Simon Zamora Martin 24.06.2021 https://taz.de/Arbeitsbedingungen-beim-Onlinedienst/!5777780/
  4. Simon Zamora Martin 24.06.2021 https://taz.de/Arbeitsbedingungen-beim-Onlinedienst/!5777780/
  5. Simon Zamora Martin 24.06.2021 https://taz.de/Arbeitsbedingungen-beim-Onlinedienst/!5777780/
  6. Simon Zamora Martin 24.06.2021 https://taz.de/Arbeitsbedingungen-beim-Onlinedienst/!5777780/
  7. Simon Zamora Martin 24.06.2021 https://taz.de/Arbeitsbedingungen-beim-Onlinedienst/!5777780/
  8. Frank Biermann: Das Lieferant*innen-Proletariat hat die Nase voll[3]23.08.2019
  9. Frontberichte 10 2019[4]
  10. Marcel Kolvenbach in der Tagesschau, Flaschenpost und Durstexpress – „Ein Klima der Angst“[5]04.11.2020
  11. Frontberichte 10 2021[6]
  12. Magazin Mitbestimmung der Hans-Böckler-Stiftung[7]02/2020
  13. Frontberichte 04 2020[8]
  14. NRZ 17.02.2020 Gewerkschaft NGG verklagt Flaschenpost in Düsseldorf, abgerufen 03.07.2021 https://www.nrz.de/staedte/duesseldorf/gewerkschaft-verklagt-flaschenpost-firma-in-duesseldorf-id228452467.html
  15. deutsche startups 27.04.2020 Wie Flaschenpost versucht hat, eine Betriebsratswahl zu verhindern, abgerufen 03.07.2021 https://www.deutsche-startups.de/2020/04/17/flaschenpost-betriebswahl/
  16. Simon Zamora Martin 24.06.2021 https://taz.de/Arbeitsbedingungen-beim-Onlinedienst/!5777780/
  17. https://de.wikipedia.org/wiki/Radeberger_Gruppe, abgerufen 2.7.2021.
  18. Joachim F. Tornau: Skrupellos und brutal, Magazin Mitbestimmung, 02/2020, Hans-Böckler-Stiftung.